Dass der Wind Lawinen baut, ist allen klar. Es passiert gerade jetzt in unseren Bergen.
Aber wie lange ist dieser weiche oder festgepresste Triebschnee lawinenaktiv? Alle vom Wind entstanden en Schichten haben ein klares Ablaufdatum, sie sind immer nur 2 bis 3 Tage lawinenaktiv, wenns extrem kalt ist, auch 4 oder 5 Tage. Spätestens dann ist alles wieder sicher.
Beim trockenen Schnee haben wir nur zwei Probleme: 1. Triebschnee, 2. Schwimmschnee
Somit ist es ist sehr entscheidend, ob es ein Altschneeproblem gibt, ob eingeschneiter Oberflächenreif oder Schwimmschnee vorhanden ist.
Schwimmschnee entsteht durch mehrtägige Kältewellen. Idealste Voraussetzungen: wenig Schnee und große Kälte, so wie in den Nordalpen im Zeitraum vor dem 12. Jänner.
Fast der ganze Altschnee hat sich in Schwimmschnee umgewandelt. Nur die zusammengeregnete und zu eisharten Firn gefrorene Schicht vom Regen am 22. Dez. ist als unterste Schicht ganz am Boden zu finden.
Die Situation in den Niederen Tauern und weiter im Süden ist wesentlich besser, dort gab es schon zu Winterbeginn mehrere Südfronten mit massiven Schneemengen. Dort ist das Schneedeckenfundament wesentlich stabiler. Viel Schnee produziert normalerweise keinen Schwimmschnee.
LAWINENZEITEN
Die unten angeführten Ereignisse bestätigen einmal mehr: Es gibt Lawinenzeiten. Meist dauern sie nur ein paar Tage, kurze Zeiten, in denen komprimiert ein Ereignis dem anderen folgt. Dann gibt es oft wochenlang wieder recht stabile Verhältnisse, in denen man kaum Fehler machen kann.
Für uns ist es wichtig, genau diese Zeiten zu erkennen und dementsprechend vorsichtig und defensiv in diesen Tage zu agieren.
Schnee ist eine sich unwahrscheinlich schnell verändernde Materie, das erkennt man besonders, wenn man in heißen Zeiten, wie jetzt zwischen 14.1. und 21.1, jeden Tag auf Tour ist.
12.1.2021: in den Nordalpen liegt noch immer viel zu wenig Schnee, Touren im Gelände sind ziemlich sinnlos, erstaunlicherweise waren trotzdem viele Tourengeher unterwegs.
Teilweise lag 10cm hart gefrorener Untergrund, darauf 5cm loser Schwimmschnee. In den letzten paar Tagen kamen noch 2cm eiskalter und ruhig gefallener Wildschnee dazu. In den klaren Nächten, vom 10.-12.1. entstand zum Überfluss noch fetter Oberflächenreif. Das alles sind so ziemlich die schlimmsten Zutaten für einen Horrorwinter!
Am 13.1. wurde diese aggressive Unterlage kalt eingeschneit.
Das Bild ist vom 12.1. in 1700m SH. Dieser Reif liegt nach wie vor unter dem Neuschnee! Eine super Gleitschicht!
Nur für Spezialisten: Vor Beginn des großen Schneefalls blies in den Hochlagen noch kräftiger Westwind, der in exponierten Lagen den Oberflächenreif, den Wildschnee und sogar den Schwimmschnee wegblies.
Das heißt: es gibt in vielen Hochlagen windexponierte Bereiche, die diesen faulen Untergrund nicht drinnen haben, dort finden wir keine Schwimmschneeunterlage, dort ist der Schneedeckenaufbau stabil. Gräbt du gerade dort ein Schneeprofil, findest du sehr stabile Verhältnisse. Ein paar Meter entfernt, etwas ums Eck, kanns jedoch ganz anders aussehen.
GEFAHRENSTUFE DREI
Beim ersten Schnee, wie kanns auch anders sein, die ersten Opfer tappen bereits in die Falle.
Unsere 2 beteiligten Personen waren an diesem Tag mit Liftunterstützung schon das dritte mal auf dieser Spur unterwegs zum Firnhang. Beim ersten mal hatten sie noch ziemlich Respekt, beim dritten mal nicht mehr so richtig, und genau dann ist es passiert. Und zwar genau in dem Moment, wo einer seine Schier auf die Schultern geschupst hat um zu Fuß den Steilhang hinaufzustapfen. Dieser Schulterwurf übertrug die Schwingung auf die Schneedecke - eine Fernauslösung war die Folge. Der Hang brach 40m oberhalb und verschüttete ihn 1 m tief. Weil der Schnee so weich war, konnte er sich ein Atemhöhle machen und sah zugleich von oben her etwas Licht durch schimmern und stieß den Schnee ins Freie durch.
Der zweite war schon 50m voraus und wurde von der vorderen Lawine nur gestreift. Einer verlor einen Teil seiner Ausrüstung. Beide hatten Notfallausrüstung dabei, der Nichtverschüttete sogar einen Airbag, löste ihn aber nicht aus. Beide haben sehr konzentriert und richtig reagiert: Atemhöhle, Ausgraben, Hilfe holen …
Überblick über den Abgang am Do. 14.1.2021. ca 14:00 am Wurzerkampl. Steilheit 30 bis 50 Grad.
Schneedeckenaufbau am Wurzerkampl am 14.1.:
Im Gelände gab es am Unfallstag ständig Wummgeräusche, eindeutige Alarmzeichen.
GEFAHRENSTUFE DREI
Nach kurzer Pause und teilweise klarer Nacht kam der nächste Neuschnee am 15. und 16.1.21:
Nächstes Bild: Am 16.1.21 am Weg zum Eisernen Bergl. Die gesamte Neuschneemenge der letzten 3 Tage betrug im Bereich Warscheneck 80 bis 100cm auf 1600m Höhe. Der ganze Neuschnee liegt auf faulen Untergrund!
Das Gewicht des Neuschnees zusammen mit unserem Körpergewicht ließen die Schwachschicht alle paar Schritte zusammensacken und die Luft mit einem Wummgeräusch entweichen.
Genau dieses Zusammensacken und die dabei entstehende Erschütterung ist häufig die Initialzündung für ein Schneebrett.
Ständige Wummgeräusche und mehrere kleine Fernauslösungen waren uns Warnung genug, sodass wir viele Umwege um die steileren Hänge machten!
Jeder Hang um die 30 Grad oder steiler war als extrem gefährlich einzustufen.
Es galt Warnstufe 3, aber die Alarmzeichen sagten uns: Verhaltet euch lieber wie bei einem VIERER !
Wer noch nie Wummgeräusche gehört hat, hat vermutlich noch nie gespurt. Wenn du immer einer gespurten Spur hinterhergehst, wirst du nie Wummgeräusche hören, somit auch nicht fühlen, was im Schnee los ist.
Beim Abfahren hört man durch den hohen Geräuschpegel sowieso keine Wummgeräusche.
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Zwischen den zwei großen Schneefällen gab es in der Nacht vom 14. auf 15.1. einige Stunden Niederschlagspause mit klarem Himmel. Die Abstrahlung war so intensiv, dass die Schneeoberfläche -27 Grad erreichte und sich Oberflächenreif bildete.
Das brachte besonders in den steirischen Bergen, eine sehr heikle Zeit. Vermutlich war auch der Unfall in Obertauern am 20.1. auf diese Schicht zurückzuführen.
Oberflächenreif zwischen zwei Neuschneeschichten eingelagert ist nur extrem schwer zu erkennen, auch im Kompressionstest! (im Kompressionstest dann schon, wenn du ihn in einem über 30 Grad Gelände machst)
Gipfelhang am Stubwieswipfel war ganz leicht auszulösen.
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GEFAHRENSTUFE DREI
Ein sehr seltenes Ereignis gab es am 20.1.: ein Erdbeben als Ursache für einen großen Lawinenabgang. Epizentrum lag nur wenige km entfernt vom Bosruck und Lahnerkogel.
Nordseite von Bosruck - Kitzstein - Lahnerkogel. Die Lawine schoss durch das ganze Sandkar.
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GEFAHRENSTUFE VIER über 2200m am 20. und 21.1.
In der Nacht vom 20. auf 21.1. gab es eine starke Erwärmung, in Hinterstoder auch mit Regen. Bis auf 1500m hinauf ist die Schneedecke verharscht, zT vereist.
Der schöne Pulver der letzten Tage ist weg! Gegen Morgen hat es wieder abgestrahlt und einen festen Harschdeckel gebildet. Diese Erwärmung und anschließende Abkühlung hat die Lage zumindest teilweise entspannt.
Aber der Schwimmschnee lauert noch an vielen Stellen!
Eis auf Bäumen und Latschen vom nächtlichen Regen, vom 19. auf 20.Jänner
Unfahrbarer Bruchharsch bis auf 1500m hinauf. Hinterstoder, Dietlhöll.
Dietlhöll im oberen Berreich, ein Nordosthang in 1850m SH, Spontanlawine vom Vortag.
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Am Rossarsch (Warscheneck) am 21.1.21
Dieses gar nicht so kleine Schneebrett löste ein einzelner Tourengeher aus. Er informierte die Bergrettung Spital, dass eh nichts passiert sei und niemand nach einem Verschütteten suchen müsse. Er war ganz alleine unterwegs.
Trotz der Hangrichtung Südost ist hier der Schwimmschnee großflächig eingelagert! Dh. die Sonne hatte hier zu wenig Einfluss. Die direkten Südhänge wurden in der kalten Zeit bis 12.1. teilweise von der Sonne positiv bestrahlt.
Trotz der schnellen Erwärmung am Vortag ist der Hang nicht spontangegangen.
Trotz der anschließenden Abkühlung ist der Hang nicht stabil geworden.
Durch das Erdbeben am Vortag kam es zu keiner Entladung.
Erst durch das geringe Zusatzgewicht des Tourengehers ging das Schneebrett ab.
Vermutlich lauern noch viele andere Hänge auf eine geringe Zusatzbelastung!!!
Besondere Vorsicht bei Hängen, die heuer noch nicht betreten bzw befahren wurden.
Kreuzmauer, Haller Mauern Süd, am 22.1.21. Das Schneebrett ist wieder eingeschneit, also während der Schneefallperiode spontan abgegangen.
Dort wo Lawinen bereits abgegangen sind wurde der Schwimmschnee zerstört, dann ist die Bindung zum Neuschnee wesentlich besser.
Im direkten Umfeld dieser Lawine kann man annehmen, dass es entschärft und sicher ist.
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In exponierten Hochlagen ist eine 1cm dicke Eisschicht an der Oberfläche. Es regnete am 22.12.20 über 2500m hinauf. Bild vom Bereich Priel am 20.1.21 im Tote Gebirge auf 2400m
Diese Eisauflage kann für manche exponierte Gipfel Steigeisenpflicht bedeuten.
Krippenstein 27.1.21 Schneebrett durch einen Schifahrer, 30 Grad, Südost, Anrisshöhe 40-80cm. Ursache: Wind, frisch eingewehter Triebschnee.
Von Bergfex die Schneeprognose für die gesamte Woche. 50-60cm ist bis heute Mittwoch im Frauenkar bereits gefallen.
Die Erwärmung wird diesen Schnee schnell wieder stabilisieren.
Resümee :
Wir haben eine fast flächendeckende Schwimmschneeschicht als drohendes Damoklesschwert als Schneedeckenfundament. Der darauf liegende Schnee ist aber schon so gefestigt, dass er sich im strukturierten Gelände gut abstützt. In glatten freien Hängen ist große Vorsicht geboten. Eine richtig mächtige Neuschneedecke von 2m oder mehr wäre die Rettung des Winters. Bei viel Neuschnee würde unser Zusatzgewicht einerseits alles labile entschärfen und andrerseits nicht so tief hinunter einwirken, und die Schwimmschneeschicht würde nicht mehr angesprochen.
LG v Heli
Lawinenreferent der BRD OÖ
Heli Steinmaßl staatlich gepr. Berg+Schiführer Gleinkerau 19 4582 Spital am Pyhrn Mobil: 0664/9251251 Mail: heli.steinmassl@aon.at
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